Sonntag, 19. Juli 2015

03. Juli 2015 - Tag I der Elternzeit - Abschied auf Zeit

Nun ist es soweit, ich befinde mich offiziell in meiner Elternzeit. Die Freude hierüber wird heute allerdings etwas getrübt. Mutter und Kind verlassen mich bereits gegen 07:00 Uhr für volle zehn Tage um zunächst die Taufpatin (und beste Freundin) und danach die stolzen Großeltern (meine Schwiegereltern) besuchen zu fahren. Da ich an den beiden kommenden Wochenenden bereits Verpflichtungen fest zugesagt hatte, bevor diese spontane Reise finalisiert wurde, bleibt mir nichts, als danach nachzureisen und die Familie in der Ferne wieder zur vervollständigen.

Ich unterstütze also eine reiselustige Kleinfamilie beim vervollständigen ihres Equipments (Windeln - check, Regenschirm - check, Babyfläschchen - check, Reisepass? - MIST!)  und schaue dem kleinen, müden Menschen etwas wehmütig hinterher, wie er samt Mama, Kinderwagen und Tourenrucksack von der BVG an das erste Zwischenziel kutschiert wird.

Was nun also mit dem Tag und den folgenden anfangen? Damit wir nicht völlig vom Thema abkommen, hier eine kurze Zusammenfassung:

Freitag: 

Ausschlafen - ein völlig ungewohntes Ereignis, schließlich war ich in den vergangenen sieben Monaten nie von meinem Kind getrennt gewesen und mindestens die Eltern unter Ihnen wissen, dass selbst das friedlichste Kind im Schnitt 1-2 x pro Nacht menschlichen Bedürfnissen nachkommt, die in der Folge unmöglich verschlafen werden können. Also genieße ich diese einmalige Chance und schlafe bewusst und vorsätzlich aus. 

Samstag:

Die Pflicht ruft, viel zu früh! Wie bereits angedeutet, gehe ich neben meinem normalen Beruf auch noch ehrenamtlichen Beschäftigungen nach. Diese führen mich nun um kurz nach 08:00 Uhr bei bereits lauschigen 33° im Schatten in den Westen unserer Stadt um für den Rest des Tages über Leben und Gesundheit von jungen, hysterischen Menschen zu wachen, die beim Anblick ihrer YouTube-Stars (ich bin zu alt für so etwas!) in orgiastische bis tief depressive Stimmungen verfallen (je nachdem, ob sie ein Autogramm nebst Selfie bekommen haben, oder der "Star" zu früh ausgewechselt wurde gegen einen anderen)
Im Tagesverlauf steigert sich der Hype bei 39° in Berlin ins schier unterträgliche und wird körperlich so fordernd, dass statt des geplanten Abendprogramms (eine kurze Abkühlung im Badesee und Pizza beim Lieblingsitaliener) nur noch eine kalte Dusche und ein kühles Getränk auf dem heimischen Balkon realisierbar sind.

Sonntag:

Schon wieder ausschlafen, langsam kommen längst vergessen geglaubte Gefühle hoch, Entspannung und Wohlbefinden steigen und auch die hauseigene Katze ist überglücklich mal wieder einen ganzen Tag wohlig schnurrend wechselweise auf mir, dem Bett und dem Sofa verbringen zu dürfen.

Montag - Mittwoch:

Da ich von der Abwesenheit meiner Lieben ja nicht völlig überrascht wurde, habe ich in einem Anfall von unglaublichem Leichtsinn auf Ausschlafen verzichtet und mich stattdessen mit Terminen zugepackt, die bisher aus Zeitmangel liegengeblieben oder auf die Randstunden zwischen 18 und 22 Uhr gepackt wurden. Neben Checkups bei Ärzten (an die Pflichtuntersuchungen des Kindes erinnert die Charité berlinweit spätestens zwei Wochen vor Ablauf des vorgesehenen Zeitfensters), Besuchen im lokalen Fitness zu humanen Uhrzeiten und dem Erwerb von der geänderten Kleidergröße angepasster Kleidung konnte ich vor allem den Kampf mit den Ämtern aufnehmen.

Welcher normal arbeitende Mensch hat schon die Zeit, sich werktags zwischen 9 und 10 Uhr durch die Warteschleifen der städtischen Bürokratie zu schlagen um von einem ZUSTÄNDIGEN Sachbearbeiter fundierte Auskunft zu erteilten oder noch fehlenden Bescheiden zu erhalten, oder - noch besser - zu analog generösen Öffnungszeiten persönlich im Finanzamt seiner Unwahl zu erscheinen um den Antrag auf Anpassung der Steuerklasse (zwecks Verbesserung der Elterngeldsituation für ein eventuelles, weiteres Kind) auch ja mit den Kreuzen an der richtigen Stelle einzureichen. 

Betrachte ich mir dieses Prinzip genauer, stelle ich fest, dass hier eine deutliche Linie erkennbar ist. Derjenige, der mit Bürokratie und "Beamtendeutsch" vertraut ist, kann zwar mittlerweile fast alles online von zu Hause aus vorbereiten und absenden. Diejenigen aber, die nicht täglich mit Begriffen wie "Großgrün im Landschaftsraum" (= Baum), belastenden Verwaltungsakten (=z.B. Knöllchen, Kostenbescheid der Kita) oder "Personenvereinzelungsanlagen"(=z.B. das Drehkreuz im Schwimmbad) zu tun haben, sind gezwungen einen Gutteil der Zeit, die man eigentlich für sein Kind reserviert sehen möchte mit selbigem im Kinderwagen/MaxiCosi auf einem risopalgrünen Flur  zu verbringen um Sachbearbeiter X oder Entscheiderin Y davon zu überzeugen, dass man doch nur seine gesetzlichen Ansprüche geltend machen möchte.

Ich spreche hier beileibe nicht von Menschen am Rande des Gesellschaft, auch nicht von Hartz IV Beziehern oder einer bestimmten Migrationsgruppe - nein, es trifft einfach jeden, der nicht weiß, wie die Berliner Verwaltung tickt und funktioniert. Sie glauben ich übertreibe? Versuchen Sie doch schnell einmal herauszufinden, wie in diesem Monat in Ihrem Bezirk/Ihrer Kommune die Öffnungszeiten der Kitagutscheinstelle sind, oder an welchen Tagen und Uhrzeiten sie eine Geburtsbescheinigung für religiöse Zwecke (= Taufe) in Ihrem Geburtsstandesamt erhalten können....

Donnerstag - Sonntag:

Nachdem die Behörden bezwungen, der Muskelkater gepflegt und ein weiteres Ausschlafen in den Kalender eingebaut wurde, nutzt der Strohwitwer heute seine wiedergewonnene Freiheit und hat Freunde zum gemütlichen Grillen auf dem heimischen Balkon eingeladen. Ohne Rücksicht auf Schlaf-, Trink- oder Entertainmentbedürfnisse des Nachwuchses nehmen zu müssen, wird der Donnerstag nach einer Schlacht in den lokalen Supermärkten lang, lustig und sehr entspannend.

Mein Tipp: Sorgen Sie dafür, dass Ihnen solche Tage immer wieder einmal gelingen. Auch wenn sich Ihr Kontaktkreis durch das Kind massiv verändern wird und auch Ihre täglichen Themen eher um Windeln, Kitas und Masern kreisen, ein solcher Abend ab und zu ist einfach ein MUSS. Jeder von uns ist neben seiner Rolle als Elternteil auch noch derjenige, der er zuvor war und ab und zu muss dieser Teil auch mal an die frische Luft - Ihr Partner wird Verständnis haben, wenn Sie ihm umgekehrt die gleiche Freiheit zugestehen.

Nach einer folglich viel zu kurzen Nacht geht es dann wieder um Ehrenamt und Menschlichkeit, die über das Wochenende andauernde Großveranstaltung führt mich in eine andere Großstadt von der aus ich nach einer Übernachtung im Bekanntenkreis am Montag den 13. Juli endlich wieder zu meiner Familie aus starten werde...

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